Orixás – Doppelidentitäten der katholischen Heiligen in Brasilien

Salvador da Bahiá ist die drittgrößte Stadt Brasiliens. Es gibt dort rund 180 katholische Kirchen. Das klingt nach einer großen Menge, bis man andere Zahlen betrachtet: In der Stadt befinden sich insgesamt ungefähr 3000 Terreiros. Was sind Terreiros? Es sind die Tempel der afro-brasilianischen Religionen Candomblé und Umbanda. Candomblé wird in der Region Bahiá im Nordosten des Landes praktiziert, während Umbanda im Süden Brasiliens zu finden ist.

Die beiden afro-brasilianischen Religionen entstand aus dem von den Missionaren mitgebrachten Katholizismus und afrikanischen Naturreligionen. Sklaven z.B. der Gegê- und Nagôstämme aus Nigeria wurden zur Kolonialzeit von den Europäern nach Brasilien gebracht. Dort wurden die Sklaven von katholischen Priestern zwangsgetauft. Es wurde ihnen untersagt, weiterhin an ihre ursprünglichen Götter zu glauben, sie durften ihre traditionellen Religionen nicht mehr praktizieren. Offiziell beteten sie dann zu den katholischen Heiligen, eigentlich hatten sie aber nur ihre eigenen Götter als katholische Heilige „verkleidet“: Jede Orixá, so werden die afrikanischen Gottheiten bezeichnet, hat dabei ein Gegenstück im christlichen Glauben, sozusagen eine Doppelidentität. So wurden nur zum Schein die Heiligen der Katholiken verehrt. Wenn die Sklaven beispielsweise das Bild der Heiligen Maria anbeteten, dachten sie dabei eigentlich an ihre Meeresgöttin Iemanjá, die in ihrem Glauben Weiblichkeit, Schönheit und Fruchtbarkeit repräsentiert. Der Gott Ossâim, der als Herr der heiligen und medizinischen Pflanzen galt, wurde dem heiligen Benedikt zugeordnet. Oxalá, das Oberhaupt der Götterfamilie der Orixás, wurde sogar Jesus Christus zugeordnet.

Damit konnten die afrikanischen Sklaven weiterhin ihre religiösen Gesänge und Tänze ausführen, unter der Erklärung, sie würden damit die katholischen Heiligen preisen. Tatsächlich waren die Tänze jedoch immernoch ihren eigenen Gottheiten gewidmet. Sie konnten auf diese Art ihre Bräuche und ihren Glauben, versteckt vor den Missionaren, unter dem Deckmantel des Katholizismus weiterhin ausleben, sodass diese Bräuche die Zeit der Sklaverei überdauern konnten.

Im 19. Jahrhundert verloren die Sklaven ihre ökonomische Bedeutung für Brasilien. Mit der Unabhängigkeit Brasiliens von Portugal 1822 begann die Abschaffung der Sklaverei, da Großbritannien dies als Bedingung für die Anerkennung Brasiliens forderte. Bis zum Verbot der Sklaverei dauerte es danach noch einige Jahrzehnte. Das Leben der Sklaven änderte sich meist nicht radikal. Sie waren jedoch freie Menschen. Das Candomblé breitete sich dadurch weiter aus. Eng verwandte religiöse Gruppen gibt es außerdem auch in Kuba und Haiti, da diese Orte auf den Handelswegen lagen, die die Schiffe mit den Sklaven von Afrika aus nach Amerika nahmen. Ihre Religion wurde nun aber dennoch nicht ausreichend akzeptiert. Immer wieder waren sie Repressalien seitens der Regierung ausgesetzt. So musste bis Ende der 1970er-Jahre für jede Kulthandlung bei der Polizei eine Erlaubnis eingeholt und eine Gebühr entrichtet werden.

Aus diesen Gründen sprachen die Anhänger des Candomblé und Umbanda lange Zeit noch selten offen über ihre Religion, mittlerweile bekennt sich die schwarze Bevölkerung jedoch immer mehr zu ihren Religionen. So finden während der Sommertage viele Feiern zu Ehren der katholischen Schutzheiligen statt, bei denen gleichzeitig afrikanischen Göttern gehuldigt wird. Die Religionsfreiheit ist heute in Brasilien sowie anderen lateinamerikanischen Staaten in der Verfassung festgelegt.

Nachdem die afro-brasilianischen Religionen nicht mehr verfolgt wurden, konnten sie sich auch in anderen sozialen Schichten etablieren, es finden heute auch immer wieder Weiße Zugang zu diesen Religionen. Die Candomblé-Häuser sind außerdem nicht nur von kultureller, sondern auch sozialer Bedeutung, da dort Alltagsprobleme besprochen und soziale Kontakte geknüpft werden können. Auch Kranke kommen manchmal in diese Tempel, in der Hoffnung geheilt zu werden. Die große Bedeutung der Religion spiegelt sich, ganz offen sichtbar, auch in der hohen Anzahl der Terreiros, der Tempel, in Salvador da Bahiá wieder. Die Stadt ist ein kulturelles Zentrum des Candomblé.

Dass diese Religionen heute frei ausgeübt werden können, scheint für uns heute vermutlich selbstverständlich, es ist jedoch eine Errungenschaft, die ihre Zeit gebraucht hat. Die afro-brasilianische Bevölkerung kann sich nun ihrer Kultur wirklich bewusst sein, ohne diese verstecken zu müssen, und sie privat sowie öffentlich ausleben.

Buchquelle: Südamerika – Zwischen Armut und Wirtschaftsboom, von Esther-Marie Merz und Camilla Landbo, UEBERREUTER, 2011, S.179f

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